Schöne, unwiederbringliche Momente mit meiner Mum, aber auch Frust und innere Leere
Seit einigen Jahren pflege ich meine Mutter, zuerst war es keine große Sache, das war als nur ihr Rücken und das Gehwerk nicht mehr so richtig gut mitspielten. Mehr wurde es 2019, als der Bluhochdruck und ein akuter Kaliummangel sie erst ins Krankenhaus und dann auf die Intensivstation brachte, dort hatte sie ein Delir* erlitten, der Weg zurück war schwierig, aber gelang letztendlich doch. Seit einem Schlaganfall und Reanimationen vor gut einem Jahr ist nichts mehr, wie es war. Man hatte sie uns zum Sterben nach Hause geschickt. Wir kämpfen nicht nur ums Überleben meiner Mutter, nein, auch das psychische Überleben von uns, ihren pflegenden Angehörigen ist gefährdet.
Ich staune manchmal über mich selbst, wie blauäugig, ich doch an die Sache herangegangen war, sah mich als rettenden Engel. Aber ich hatte keine Ahnung, wie oft ich an meine Grenzen gelangen würde. Ich war immer Mrs. Zimperlich, selbst beim Wickeln meiner kleinen Tochter wurde mir schlecht und bei Erbrechen, ko***e ich mit.
Aber als wir im letzten Jahr den Platz in unserem Lieblingsheim ausschlugen, wussten wir ganz genau, was wir taten, wir wussten, dass uns eigentlich nichts anderes übrig blieb, denn wir sind beide berufstätig. Meine Tochter sogar im Schichtdienst, ich nur mit fast voller Stundenzahl. Ich bemühte mich von da an sehr intensiv um die Möglichkeit zu mindestens an zwei Tagen im Homeoffice zu arbeiten, was mir auch letztendlich gelang. Meine Tochter konnte ihren Dienst so einteilen, dass sie an meinen Bürotagen entweder Spätdienst oder Nachtschichten machte. Das Wunder gelang. Im Juli letzten Jahren konnten wir mit unserer Eka an die Nordsee in den Urlaub und sie lebte regelrecht auf, im Herbst flogen wir nach Mallorca und dann in diesem Frühling sogar auf die kanarischen Inseln. Jeder dieser Urlaube brachte meine Mutter ein Stück weiter zurück ins Leben.
Zwei Monate später dann der Schock, bei einer Blutuntersuchung stellte ich heraus, dass es nun wieder steil bergab ging. Damit brach unser ganzes schönes Kartenhaus zusammen. Die Pflege intensivierte sich in einem ungeahnten Ausmaß. Das machte sich nicht mehr einfach. Dazu kam, dass ich nicht die schlechten Nachrichten kaum verkraftete und mit pysischen und psychischen Problemen kämpfe. Ich kann kaum noch schlafen und das nicht nur, weil meine Mutter jede nach mehrfach nach mir ruft, kaum noch aß und trank.
Nun hat sie von sich aus wieder angefangen zu essen und zu trinken. Wir hoffen so sehr auf noch ein Wunder, nur kommen wir gerade nicht an die neuen Ergebnisse der Blutuntersuchung, weil unsere Hausarutpraxis wegen Krankheit geschlossen ist.
Als habe man wieder ein Baby …
Häufig hört man den Vergleich, die Pflege eines Menschen sei so, als habe man wieder ein Baby. Ja, es, gibt es Parallelen, aber die Unterschiede sind weitaus größer.
Ich hatte ein Baby und erinnere mich gut, die erste Zeit ist wirklich schwierig war, obwohl meine Tochter ein pflegeleichtes Kind war. Trotzdem gab es durchwachte Nächte, volle Windeln, Erbrochenes auf der nagelneuen Bluse und immer war ein Ohr am Babybettchen. Oft war ich komplett neben der Spur, abends immer noch mit verstrubbelten Haaren und im Schlafanzug. Erschöpft bis zum Zusammenbruch, ausgebrannt und sich selbst vergessend.
Es ist wahr, dass alles ist auch Pflegealltag. Aber doch auch ganz anders. Wenn sich das Baby nicht beruhigen lässt, trägt man es hin und her, manchmal stundenlang. Probiere das mal mit einem erwachsenen Menschen. Schlechte Idee? Stimmt! Bei einem Baby weiß man genau, irgendwann wird es besser, schon nach 4-5 Monaten ist alles nur noch halb so schlimm. Irgendwann steht man morgens auf, stürzt ins Kinderzimmer, weil man durchgeschlafen hat. Du machst die Tür auf und ein süßes kleines Gesicht strahlt dir entgegen. Und irgendwann bist du traurig, weil der erste Kitatag angebrochen ist und du nicht mehr das Universum für dein Kleines bist.
Pflegst du einen älteren/alten Menschen, weißt du auch genau, diese Zeit endet über kurz oder lang, aber genau davor hast du Angst. Denn am Ende steht der Tod und vor ihm liegt in der überwiegenden Zahl der Fälle eine Verschlimmerung der Symptome und das Sterben, eigentlich die natürlichste Sache der Welt und doch so beängstigend. Nichts wird gut oder besser, sondern schlimmer und schlimmer. Manchmal gibt es eine Galgenfrist in Form einer Erholungsphase. Trotzdem weiß man, letztendlich wird man den (in der allermeisten Fällen) geliebten Menschen verlieren, was für sich genommen, schon schlimm genug ist. Wenn man aber selbst ü50, ü60 oder gar ü70 ist, wird einem zudem ein Spiegel vorgehalten und man weiß, die Wahrscheinlichkeit, dass man ähnlich endet, ist nicht eben klein, eine angstbesetzte Vorstellung. Ich kenne pflegende Angehörige, die sagen: “Wenn es bei mir losgeht, bringe ich mich um”. Ich selbst tue viel dafür 120 in geistiger und körperlicher Gesundheit zu werden, außer in den schlimmen Phasen, dann stopfe ich Ungesundes nur so in mich rein und versuche mein dummes, trauriges Herz zu beruhigen.
Es ist auch gar nicht süß …
… wenn ein erwachsener Mensch dir auf den Frühstückstisch ko***t oder vom Bett bis zur Toilette Häufchen ‘verliert’, wütend wird, nach den Tabletten und manchmal auch nach dir schlägt. Was macht man mit einem alten Menschen. der 6, 7 oder 8 mal in der Nacht nach ‘Mama’ ruft und dich meint, eben weil er Angst hat, ihm etwas weh tut oder er schlecht Luft bekommt. Du würdest so gerne helfen, deine eigene Hilflosigkeit bricht dir fast das Herz.
Job oder Pflege
Irgendwann, selbst wenn du den besten Pflegedienst hast, stehst du vor der Entscheidung, entweder der Pflegling bekommt eine Rundum-Betreuung, er geht ins Heim oder Hospiz oder du verschreibst dich ganz der Pflege. Wenn du nicht gerade sehr wohlhabend bist, kannst du die Rundum-Hilfe (sogenannte 24 Stunden-Kraft, besser mindestens zwei, denn der Arbeitsschutz gilt zurecht auch für sie), vergessen, in ein Heim möchte der Pflegling nicht, und du willst das auch nicht, weil du ihn viel zu lieb hast oder er möchte Zuhause sterben. Dann bleibt dir nichts anderes übrig, als zumindest für eine gewisse Zeit deine Berufstätigkeit zu unterbrechen. Doch auch das ist teuer, denn das Pflegegeld geht für den Pflegedienst drauf, machst du alles alleine und der zu Pflegende gibt dir sein Pflegegeld, das ist aber zu wenig zum Leben und zuviel zum Sterben ist, dann bleibt nur noch ALG II.
Alles in Allem
Trotz allem bin ich heute noch froh, dass wir uns im letzten Jahr entschieden haben, unseren Herzen zu folgen. Mama ist nach wie vor Zuhause bei uns und normalerweise kommt so viel zurück und es gibt viele Stunden, die ich um keinen Preis missen möchte. Schließlich ist sie auch viele Jahre mit uns durch die Republik gezogen, damit ich meinen beruflichen Ambitionen nachgehen und meine Tochter ihren Sport ausüben konnte. Wir können an guten Tagen immer noch miteinander lachen und uns miteinander freuen.
Bis zum Ende
Wir sind fest entschlossen, Mama bleibt bis zum letzten Atemzug bei uns, auch wenn mir der Gedanke eine Sch*** Angst macht.
Aber es gibt auch einen Plan B. Schon vor vielen Jahren haben wir besprochen unter welchen Aspekten wir doch eine eine andere Lösung in Angriff nehmen müssten:
- Die Demenz ist nicht mehr händelbar, sie gefährdet sich und andere
- Ich bin, durch meine fast komplett versteifte Wirbelsäule, körperlich nicht mehr in der Lage zu pflegen.
Aber ich hoffe und bete, dass es nie dazu kommt.
Die unten genannten Beträge, das Pflegegeld, erhält die zu pflegende Person (Nicht der pflegende Angehörige!!!) nur dann, wenn kein Pflegedienst involviert ist. Sobald ein solcher an Board ist gelten andere Zahlen. Pflegedienste erhalten sehr viel mehr und rechnen direkt mit den Kassen ab, das sind die sogenannten Pflegesachleistungen. Reichen die Beträge nicht, kann man eine Aufstockung durch das Sozialamt beantragen. Kinder sind nicht mehr unterhaltspflichtig, solange sie unter 100.000 € im Jahr verdienen. Wenn die Pflegedienste die für den jeweiligen Pflegegrad zur Verfügung stehen, nur teilweise ausschöpfen gibt es die sogenannte Kombileistung, das bedeutet, sowohl der Pflegedienst als auch die zu pflegende Person erhalten anteilsmäßige Beträge.
Nehmen wir mal an, die zu pflegende Person hat Pflegegrad 4, das Pflegegeld beträgt dann 728€, die Pflegesachleistung 1693€. Der Pflegedienst erbringt Leistungen in Höhe von 1185,10€, das sind 70 %, dann stehen der zu pflegenden Person noch 30 % des Pflegegeldes zu, also 218,14€, die dann ausgezahlt werden.
Pflegegeld
- Pflegegrad 1 = 0 €
- Pflegegrad 2 = 316 €
- Pflegegrad 3 = 545 €
- Pflegegrad 4 = 728 €
- Pflegegrad 5 = 901 €
Ehe man die Pflege einer Person übernimmt, sollte man sich absolut klar machen, was auf einen zukommt und ob man sich das wirklich zutraut. Zudem sollte man berücksichtigen, aller Wahrscheinlichkeit nach, wird der Zustand der zu pflegenden Person schlechter, Verbesserungen sind gerade bei alten Menschen selten. Gerade demente Personen werden häufig sehr ungerecht und bei einigen Formen der Demenz auch aggressiv. All das ist nicht nur eine physische Herausforderung sondern auch eine psychische. Mehrmals pro Woche fragt man sich, wie man das alles noch schaffen soll und fühlt sich komplett leer, in der Regel wenden sich mit der Zeit viele Freunde ab, weil man ja eh nie Zeit hat. Ganz, ganz dringend braucht man eine gute Portion Humor, denn dieser hilft ganz ungemein.
Nicht zuletzt macht Pflege Angst, denn wer weiß schon, ob man selbst nicht auch in dieser Situation landet. Keiner ist ein schlechterer Mensch weil sie/er sich nicht zutrauen selbst oder auch mit Pflegedienst in der häuslichen Umgebung zu pflegen. Vielleicht können sie den Menschen ja durch häufige Besuche viel mehr geben?